Sebastian Dienst ist Pflegedirektor im deutschen Herzzentrum in Berlin. Er hat sich zur Aufgabe gemacht, die Pflege zu verbessern. Er hat selbst den Beruf des Gesundheits- und Krankenpfleger gelernt. Ihm liegt viel daran, dass Gesundheitseinrichtungen in Deutschland bessere Arbeitgeber werden. Digitalisierung, New Work und Digital Health sind für Sebastian Dienst zentrale Themen.
Wie wird man Pflegedirektor? Wie unterscheidet sich ambulante von stationärer Pflege? Wie sieht ein Pflegedirektor die Arbeitsverhältnisse in der Pflege? Wie kommt New Work ins Gesundheitswesen und was zeichnet eigentlich einen guten Arbeitgeber aus? Das und noch mehr haben wir Sebastian Dienst gefragt.
Sebastian Dienst ist Pflegedirektor im Deutschen Herzzentrum Berlin. Er ist gelernter Gesundheits- und Krankenpfleger und hat sich zur Mission gemacht, die Pflege zu verändern. Für unseren Blog konnten wir ihn für ein Interview gewinnen!
Ich bin Sebastian Dienst, Gesundheits- und Krankenpfleger, Sohn einer Gesundheits- und Krankenpflegerin und eines Bankkaufmanns, der mit 14 schon ambulante Pflegefahrten bei seiner Mutter begleitet hat und gleichzeitig Börsenspiele gespielt hat.
Man könnte sagen, ich war früh davon geprägt, dass die Kombination aus sozialem und ökonomischem sogar eine Ehe (und der 50. Hochzeitstag meiner Eltern steht kurz bevor!) aushalten und Kinder produzieren kann. Vielleicht bin ich auch deswegen jetzt Pflegedirektor im DHZB. Ich bin leidenschaftlicher Krankenpfleger und hab gleichzeitig Management im Blut - so könnte man mich beschreiben.
Mein Werdegang begann durch den Zivildienst. Wie gesagt, kannte ich die Pflege schon durch meine Mutter. Die arbeitete in der ambulanten Pflege und ich machte meinen Zivildienst in einer Psychiatrie. So kannte ich von meiner Mutter eine sehr selbstständige, eigenverantwortliche Pflege, begann meine Ausbildung in der Somatik und war fast schon entsetzt, wie sich Pflege dort gestaltete.
Das war einfach nicht die Pflege, die ich kannte. Kurz nach meiner Ausbildung wurde gerade das DRG-System (DRG = Diagnosis Related Group; diagnosebezogene Fallgruppierung, die Patientenfälle mit ähnlichen Kosten zusammenfasst) eingeführt und, in meinen Augen, geriet die Pflege dann böse unter die Räder. Ich muss dazu sagen, dass die Pflege meiner Meinung nach aber auch ein bisschen selbst dran schuld ist. Das gehört leider auch zur Wahrheit dazu.
Die Pflege ist nicht immer nur Opfer, sondern hat manchmal einfach nicht die richtigen Antworten auf Fragen oder Probleme gefunden. Zu dem Zeitpunkt war ich aber erst Mal von meinem Traumberuf in der Pflege enttäuscht. Ich wollte aber nicht aus der Pflege weg und habe mir dann gesagt: “Dann muss ich eben das System verändern!”.
Dafür bin ich dann den klassischen Weg über Stationsleitung, Zentrumsleitung und Pflegedirektion gegangen. Manchmal vielleicht ein bisschen schnell, aber es war halt so.
Als Zivildienstleistender war ich es gewohnt, mit den ÄrztInnen über Therapien zu sprechen, meine Eindrücke zu den PatientInnen zu schildern und, dass meine Ideen mitgehört werden. In der ambulanten Pflege bei meiner Mutter habe ich sogar erlebt, dass sie eher den ÄrztInnen gesagt hat, welches Rezept sie ausfüllen sollen.
Im Krankenhaus habe ich dann eine unglaublich zurückgezogene Pflege erlebt – eine Pflege, die sich auf Pflegeplanung konzentriert hat, sich nicht immer aktiv im medizinischen Prozess beteiligt und sich eher abgrenzt.
Das muss man glaub ich auch so ein bisschen aus der damaligen Historie verstehen und war sicherlich auch nicht alles falsch. Alles hat so seine Zeit, aber es war eben nicht das, was ich kannte und da ich mich doch sehr gerne einbringe in Themen und gerne versuche, zu gestalten und zu verändern, war es mir eben wichtig, mich in den Patientenprozess und in die Therapie einzubringen. Das habe ich so erst mal nicht vorgefunden.
Ich glaube aber auch, dass das der richtige Weg ist - dass das der einzige Weg ist, um die Menschen für unseren Job zu begeistern und ist in meinen Augen glaube ich auch einer der Hauptgründe, weswegen Menschen aus ihrem Job gehen.
Wir reden immer viel über die Rahmenbedingungen, Geld, Arbeitszeiten, Arbeitsbelastung usw. und da muss man auch einiges verändern. Allerdings möchte ich da auch deutlich sagen, dass da ein Bild gezeichnet wird, was teilweise fernab von jeglichen Realitäten ist. Wenn man so tut, als ob jede Pflegekraft in Deutschland nur gebeutelt, unterbezahlt und in prekären Arbeitsverhältnissen steckt, dann ist das einfach falsch.
Wir bezahlen in der Pflege überdurchschnittlichen Lohn verglichen mit der Gesamtwirtschaft, wir haben die höchsten Ausbildungsgehälter, wir haben eine 39-Stunden-Woche mit teilweise 35 bis zu 40 Urlaubstagen, wir haben Weiterentwicklungsmöglichkeiten, wir haben Einstiegsgehalt von fast 4.000 € in unserer Einrichtung im DHZB. Das ist nicht alles schlecht.
Wir haben in der Pflege auf jeden Fall teilweise unglaublich schlechte Verhältnisse und ganz schwierige Situationen. Aber diese Verallgemeinerung stört mich schon sehr. Und so gehen eben viele auch aus dem Beruf, weil sie wahrscheinlich beim falschen Arbeitgeber sind. Wenn sie aber wüssten, dass nebenan ein Arbeitgeber ist, der vielleicht ein anderes Verständnis davon hat, dann wäre es toller, wenn sie zu eben diesem Arbeitgeber wechseln würden anstatt den Beruf aufzugeben.
Ich habe auch ein oder zweimal mein Haus gewechselt, weil ich auch manchmal unzufrieden war. Das gehört zur Wahrheit halt dazu. Es gab auch manchmal andere Gründe, aber wichtig ist mir, dass sich Leute für diesen Beruf engagieren und ihn verändern, weil es eine tolle Pflege in Deutschland gibt. Man muss sie nur leider manchmal suchen und der Staat tut auch nicht immer alles dafür, dass die Pflege gut organisiert ist.
Genau! Wir haben da auch eine gewisse Macht, sozusagen. Die Macht kann nicht lauten: "Wir gehen raus aus dem Beruf", sondern: "Wir gehen nur noch zu guten Arbeitgebern" und dann passiert das, was in meinen Augen absolut notwendig ist – dann werden nämlich Krankenhäuser schließen und das muss auch so sein, weil wir zu viele haben.
Das darf man auch nicht vergessen: wir haben in Deutschland auf die Bevölkerung gerechnet europäisch mit die meisten Pflegekräfte. Das heißt mit Blick auf die Bevölkerungszahlen haben wir keinen Pflegemangel. Pro Krankenhausfall haben wir eine desolate Situation. Wir sind also pro Bevölkerung Bayern München und pro Fall Hertha BSC und das sage ich als Hertha-Fan. Da gibt es nur eine Erklärung für: wir behandeln zu viele stationäre Fälle, wir haben zu viele Fälle, wir haben ein auf akut und stationäre Medizin fixiertes Gesundheitssystem was auf Menge und nicht auf Qualität ausgelegt ist. Das muss sich ändern. Dann haben wir viel geschafft.
Es gibt unendlich viele Zertifikate dafür, ob Sie ein guter Arbeitgeber sind oder nicht. Ich halte es da sehr stark mit der Magnet-Philosophie. Es gibt ein Konzept in Amerika (Amerika war vor 40 Jahren in einer sehr ähnlichen Situation wie wir heute in Deutschland): unzufriedene ArbeitnehmerInnen, schlecht versorgte Patienten. Man hat damals einer Krankenpflegerin auch ein Auto gegeben, wenn sie das Krankenhaus gewechselt hat, also Prämienzahlung und es gab in Amerika Krankenhäuser, die hatten keine Probleme.
Die hatten zufriedene Patienten, glückliche Mitarbeitende, wenig Fluktuation und da hat man damals geforscht, warum das so ist und was für eine Überraschung: die Krankenhäuser, die keine Probleme hatten, hatten eine gute Führung, sie haben sich um die strukturellen Herausforderungen in der Einrichtung gekümmert, also sind genug Pflegende da pro Patient, gibt es vernünftige Weiterbildungsangebote, gibt es Shared-Decision-Making also Entscheidungen auf Augenhöhe treffen gemeinsam für die Klienten.
All das ist in ein Konzept geschrieben worden, das sogenannte Magnet Konzept und davon habe ich schon immer viel in mein Handeln mit übernommen. Wir als DHZB sind auch aktuell in der Magnet-4-Europe-Bewegung mit dabei und haben heute übrigens wieder einen Preis bekommen! Das ist ein guter Arbeitgeber. Das kann man messen.
Zum Beispiel an: Fluktuation, Mitarbeiterzufriedenheit und und und. Aber fragen sie doch mal in den deutschen Krankenhäusern, wann die ihre letzte Mitarbeiterbefragung gemacht haben und was sie daraus geschlossen haben. Wir machen nun jedes Jahr eine Befragung. Ich kenne wenige deutsche Krankenhäuser, die das tun.
Ja absolut! Weil auch viele, muss man sagen, sich mit dem System einfach arrangiert haben und das ist etwas, was bspw. für mich keine Option war. New Work ist da ein sehr gutes Beispiel. Das Gesundheitswesen ist der personalintensivste Wirtschaftszweig, mit einem hohen Milliarden-Volumen. Aber wenn Sie sich anschauen, wie Personalmanagement im Krankenhaus aussieht, dann ist das häufig aus den tiefsten 80er Jahren.
Und wir feiern heute teilweise immer noch Krankenhäuser, die einen Pool entwickelt haben. Ich habe letztens über Kliniken in Süddeutschland gelesen, die sind jetzt auf die Idee gekommen, Servicekräfte einzustellen, um ihre Pflegenden zu entlasten. Wenn das heutzutage noch Top-Beispiele sind, dann reden wir über Rekrutierung. Jeder sagt, dass er oder sie Personal sucht. Schauen sie sich doch mal die Stellenausschreibungen an oder bewerben sie sich mal woanders. Dann werden sie sehen, ob die Personal suchen oder nicht.
Es liegt halt nun mal an uns. Es ist nicht immer nur das böse System oder die böse Politik oder die böse Umwelt. Wir haben es in der Hand. Es gibt so einen schönen, alten Satz: „Wer die Schuld hat, hat die Macht“ und ich glaube manchmal müssen auch die Krankenhäuser sich selbst eingestehen, dass wir auch ein bisschen Schuld haben an der Situation, weil wir bestimmte Entwicklungen verschlafen haben.
Ja, aber das kann man systemisch erklären. Die Krankenhäuser kommen aus dem Selbstkosten-Deckungsprinzip und man muss auch ganz ehrlich sagen, das Krankenhaus-Management war eine Behörde. Dann hat man es relativ ungeschützt ins DRG-System geschubst und dann waren erst mal 10 - 15 Jahre Sanierung angesagt, Kosteneinsparung in einem, was die Erlöse betrifft, extrem gedeckelten und geregelten Markt. Da hat dann auch niemandem mehr Krankenhausmanagement Spaß gemacht. Da konnten sich viele Krankenhäuser dann nicht so entwickeln, wie das viele andere Organisationen in der freien Wirtschaft konnten.
Das ist einfach auch die Wahrheit darüber und auch das ist nicht despektierlich von mir gemeint, sondern hochwertschätzend, was diese Leute damals alles geleistet haben. Nur muss man sich das jetzt angucken und erkennen, warum es diese Innovationskraft da nicht gibt. Warum haben es Startups so schwer da reinzukommen? Man muss sich mal vorstellen, dass es vor kurzem einen Bundesgesundheitsminister brauchte, dass sich Deutschland dafür interessierte, wie viele Pflegende wie viele Patienten betreuen. Das ist schon bemerkenswert. Jedes andere Unternehmen misst ganz genau den Output seiner Mitarbeiter. Personal Management bei bspw. der Deutschen Bahn ist nun mal einen Evolutionssprung vor uns.
Die Organisationen können intern viel machen was Führung, Personalmanagement, Personaleinsatzplanung, Mitarbeiterzufriedenheit usw. angeht. Da können die Krankenhäuser selbst viel machen und gute Arbeitgeber werden und so Personal binden und aufbauen. Da ist vieles möglich. Aber das gehört zur Wahrheit dazu: Es wäre natürlich schon schön, wenn die Politik und wir als Gesellschaft damit aufhören würden, von dem Märchen "Mehr, mehr, mehr" zu reden. Das ist ein Luftschloss.
Wir werden uns gesund konsolidieren müssen. Wir haben eine schlechte Qualität, weil wir zu sehr auf Masse und nicht auf Klasse gesetzt haben. Die Daten sind frappierend. Gucken Sie sich die OEZD-Daten anschauen. Wie viele Fälle wir in bestimmten Indikationen machen. Augen-OPs, Krebsoperationen und der Outcome ist im europäischen Vergleich schlecht. Andere Länder wie Dänemark und Holland haben das Verstanden und ihre Systeme geändert und haben wieder auf Qualität gesetzt. Das ist das, wo der deutsche Staat regulativ eingreifen muss.
Das bedeutet, dass wir eine Veränderung der Krankenhausstrukturen haben hin zu mehr ambulanter und stationärer pflegerischer Versorgung, mehr Prävention. Das haben wir alles schon vor 15 - 20 Jahren in Sachverständigen Gutachten geschrieben. Passiert ist nichts, eher das Gegenteil. Hier bedarf es den absoluten Mut der Politik jetzt entschlossen zu handeln und sich nicht von jedem Lokalpolitiker, der um sein Krankenhaus sich Sorgen macht, einschüchtern lassen. Das ist der falsche Weg. Die Dänen haben einfach drei Krankenhäuser geschlossen und ein neues aufgebaut und das immer Wohnort-Nah, da wo eine Infrastruktur da ist, da wo es öffentlichen Nahverkehr gibt. Und dann schafft man eine Wohnort-Nahe aber auch sehr qualitative Versorgung, weil ich nichts davon habe, wenn ein Krankenhaus bei mir um die Ecke steht, ich aber weiß, dass ich dort schlechter behandelt werde. Das ist nicht gut.